Völlig ohne Vorwarnung soll nie wieder ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in eine Region kommen. Nicht so wie 1974 in Gorleben. Das sagte Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks am 5. September 2017 bei der Auftaktveranstaltung zur Standortsuche der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) in Berlin. Deshalb hat Hendricks gemeinsam mit den zuständigen Berichterstattern im Bundestag in Sachen Endlagerung auch kaum einen Stein auf dem anderen gelassen.
In der Endlagerkommission hatten sich Dr. Matthias Miersch (SPD), Steffen Kanitz (CDU) und Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) dafür eingesetzt, eine ganz neue Behördenstruktur zu schaffen und eine umfassende Bürgerbeteiligung im Suchprozess durchzusetzen. Am Dienstag blickten die Abgeordneten zurück auf den Verhandlungsprozess – und schüttelten immer mal wieder den Kopf darüber. Sylvia Kotting-Uhl erzählte plastisch von der ersten Reaktionen auf das Beteiligungskonzept. Von der Arbeitsgruppe in die Endlagerkommission und von dort in die Fraktion habe es immer geheißen: „Seid Ihr denn wahnsinnig?“ Matthias Miersch berichtete, wie die Bildung des Nationalen Begleitgremiums als echte Innovation von einem Staatsrechtler als „Zerstörung der Demokratie“ kritisiert worden war. Und Steffen Kanitz erinnerte sich, dass bei der Union die Abgeordneten „nicht gerade Schlange standen“, um die Aufgabe in der Endlagerkommission zu übernehmen.
BGE-Geschäftsführerin Ursula Heinen-Esser, die eine von zwei Vorsitzenden der Endlagerkommission gewesen war, informierte über den Stand der neuen Bundesgesellschaft, in die neben der Abteilung Sicherheit nuklearer Entsorgung des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) auch die Asse-GmbH und die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) integriert werden sollen. Mit einer ersten Bitte an die Geologischen Landesdienste und Bergämter, Geodaten zu liefern, hat die BGE Anfang August den Standortauswahlprozess in Gang gesetzt. Mit einer ersten Datenabfrage soll geklärt werden, welche Gebiete von vornherein ausgeschlossen werden können. Da geht es um Erdbebengebiete, Vulkane, aktive Bergwerke. Schon in wenigen Wochen soll dann eine weitere Datenabfrage folgen, um die geologischen Mindestkriterien anzuwenden. In einem dritten Schritt geht es dann um Abwägungskriterien, und die Erstellung eines ersten Berichts über mögliche Teilgebiete für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle. Ursula Heinen-Esser betonte, dass der Standortauswahlprozess aber auch die Arbeit in der BGE selbst als „lernendes System“ angelegt werden sollen. „Fehler müssen korrigiert werden können, und wir sind auf den Austausch mit Ihnen allen angewiesen“, sagte sie.
Wolfram König, Präsident des Bundesamts für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE), der „Vater der neuen Behördenstruktur“, wie Barbara Hendricks gesagt hatte, ist überzeugt, dass für die Glaubwürdigkeit des Suchprozesses eine unabhängige Aufsichtsbehörde unabdingbar ist. Seine Behörde werde der BGE „bei jedem Schritt über die Schulter schauen“, sagte König. Denn seine Behörde werde auch die rechtliche Verantwortung für den Standortauswahlprozess übernehmen müssen, fügte er hinzu. Aber: „Ins operative Geschäft werden wir nicht eingreifen.“
Die Sorge, das BfE könnte womöglich der Aufgabe der Standortsicherung (§21 des Standortauswahlgesetzes) nicht gewachsen sein, löste König am Dienstag in Gelächter auf. Die Hälfte der eingegangenen Anträge auf Tiefenbohrungen sei bereits abgearbeitet, berichtete er. „Es waren zwei!“ Das BfE muss Bohrungen genehmigen, um zu verhindern, dass potenzielle Standorte womöglich zerstört werden, bevor sie erkundet werden konnten.
Prof. Dr. Klaus Töpfer, einer von zwei Vorsitzenden des Nationalen Begleitgremiums (NBG), warnte vor Zeitdruck im Auswahlprozess. Wenn es nicht 2031 werde, wäre er auch mit 2038 zufrieden. „Dann bin ich 100“, sagte er. Der Beteiligungsprozess werde Zeit brauchen, betonte er. Und mit „alternativlosen“ Vorschlägen würde sich das NBG nicht zufrieden geben, denn das zerstöre das Vertrauen in den Prozess sofort. Töpfer berichtete sichtlich angetan von den drei „zufällig ausgewählten Bürgern“ im NBG. „Sie haben uns zu einer sprachlichen Abrüstung gezwungen, die wir ohne sie gar nicht übers Herz gebracht hätten“, berichtete er. Dieser Gewinn an Verständlichkeit sollte wohl zum Leitmotiv der Standortsuche werden, für alle, die daran beteiligt sind. Das und die Zeit, „die Bürgerbeteiligung braucht“, wünscht sich jedenfalls Klaus Töpfer.
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