Wo das Endlager für hochradioaktive Abfälle gebaut wird, ist Miriam Kopernik egal. Hauptsache es kommt – in ihren Wahlbezirk. Bei der nächsten Landrats-Wahl will sie an die Macht. Und dafür muss sie in der strukturschwachen Gegend um die Stadt Perna mehr Arbeitsplätze schaffen als der amtierende Landrat bisher. Da käme der Bau eines Endlagers äußerst gelegen, ob nun nahe der Stadt oder im Naturschutzgebiet. Das sehen natürlich nicht alle im Landkreis so. Wäre ja auch langweilig, wenn hier das Planspiel der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) schon enden würde.
Planspiel? Ja, alles nur ein Spiel, die Wahl zwischen zwei geeigneten Endlager-Standorten in Koperniks Wahlkreis. Perna gibt es gar nicht. Und Frau Kopernik ist in diesem Fall ein Schüler der Berufsbildenden Schulen II in Gifhorn nahe des BGE-Hauptsitzes Peine. Zusammen mit 15 weiteren Schüler*innen zwischen 17 und 21 Jahren ist er in die Rollen von Befürwortern, Gegnern und Personen mit einer neutralen Haltung zum Endlager geschlüpft. Eingeladen zu der Veranstaltung, bei der Vertreter*innen der BGE und des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) auch die reale Endlagersuche vorstellten, hat die Kreisvolkshochschule Gifhorn.
Einigung am Runden Tisch
Gemeinsam diskutieren die Schüler*innen an diesem Dienstag an einem Runden Tisch die Vor- und Nachteile der zwei Endlagerstandorte – und erreichen am Ende tatsächlich einen Konsens. Auch, wenn es zwischenzeitlich ganz und gar nicht danach aussieht. „Vielleicht sollte man auch mal versuchen, den Atommüll ins All zu jagen“, sagt ein Schüler in der Rolle von Klaus Streitberger von der Bürgerinitiative „Nein zum Endlager“. Der junge Mann, der neben ihm sitzt, verlässt kurz seine Rolle als Vertreterin des Nationalen Begleitgremiums und schreibt das Schild „Bürgerinitiative – Nein zum Endlager“ kurzerhand um in „Bürgerinitiative – ins All damit“. Bei den Teilnehmer*innen löst das nicht mehr als ein kurzes Lachen aus. Mal auf der Erde bleiben. Hier geht es um handfeste Herausforderungen. Die Naturschützerin sorgt sich um den seltenen und vollkommen frei erfundenen Biberschwanzrötling, der im Naturschutzgebiet beheimatet ist. Der Landrat fürchtet belastete Lebensmittel und somit eine Gefahr für den Hauptwirtschaftszweig der Region, die Landwirtschaft. Der Landwirt hingegen wähnt sich schon mit einer großzügigen Entschädigungszahlung im neuen Heim und wohl auch mit neuer Profession. Ein zähes Ringen um eine Entscheidung.
Zäh anzusehen ist es jedoch nicht, wie die Schüler*innen das Planspiel ausfüllen. Sie liefern sich einen Schlagabtausch guter Argumente, reißen ihre Hände in die Höhe, lachen, fragen kritisch nach. Am Ende ist es der Schüler, der die Rolle der Oppositionspolitikerin Miriam Kopernik innehat, der die Idee für einen Konsens einbringt: „Wir könnten doch auch quer bohren.“ Ein Endlager weiter weg von der Stadt unter dem Naturschutzgebiet einrichten, aber mit einem Zugang, der außerhalb des Naturschutzgebiets liegt, um dies nicht zu schädigen.
„Ich konnte verstehen, dass der Landrat so argumentiert“
Nach kurzer Zeit ist eine Entscheidung gefallen. Natürlich keine Blaupause für die reale Endlagersuche. Aber das Planspiel öffnet den Blick dafür, bietet die Möglichkeit, in die Rollen von Beteiligten und Betroffenen zu schlüpfen. Vom Landwirt über die Politikerin, den Gewerkschaftsangehörigen und die Vertreterin der Bürgerinitiative bis hin zu Mitarbeitern der BGE und der Aufsichtsbehörde BASE.
„Es war schwierig einen Kompromiss zu finden“, sagt eine Schülerin, nachdem sie die Rolle der Rosa Maritano, die als Vermittlerin agierte, abgelegt hat. „Ich habe mich nicht ernst genommen gefühlt“, sagt ein Schüler, der ein NBG-Mitglied spielte. Der junge Mann, der die Oppositionspolitikerin spielte, sagte: „Es war cool, Leute zu suchen, die ähnliche Meinungen haben – und das eigene Wahlprogramm durchzubekommen.“ Identifizieren konnte sich nicht jeder mit seiner Rolle. „Aber“, sagt der Schüler über den Landrat, den er gespielt hat, „ich konnte verstehen, dass er so argumentiert.“