Hochradioaktive Abfälle erzeugen durch die hohe Strahlungsenergie Wärme. Diese darf in einem Endlager nicht unbegrenzt hoch sein. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat jetzt die Grenztemperaturen für die unterschiedlichen Wirtsgesteine für das Endlager für hochradioaktive Abfälle festgelegt (PDF, 986 KB). Für Steinsalz liegt die Grenztemperatur, die bei den vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen im Rahmen der Standortauswahl angesetzt wird, bei 150 Grad Celsius (°C). Für Tongestein und für Kristallingestein bleibt die Temperatur bei 100 °C, wie es aus Vorsorgegründen im Standortauswahlgesetz vorgeschlagen worden war. Die BGE braucht diese Festlegung, um die Sicherheitskonzepte für die aktuell durchzuführenden repräsentativen vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen (rvSU) bei der Auslegung des Endlagers beschreiben zu können. Im weiteren Verfahren, also der Phasen II und III der Standortauswahl, in denen die eigentliche Erkundung möglicher Standorte erfolgt, bleibt es weiterhin möglich, die Grenztemperaturen standortspezifisch anzupassen, die BGE beabsichtigt dies aber nicht.
Unter Grenztemperatur versteht die BGE eine Temperatur, die sich aus der Wechselwirkung zwischen der Wärmeentwicklung der hochradioaktiven Abfälle und den thermischen Eigenschaften des Versatzmaterials und des Wirtsgesteins, jeweils bezogen auf die jeweilige Gebirgstemperatur (entsprechend der Tiefe), ergibt. Um diese Grenztemperatur zu bestimmen, welche die Sicherheitsfunktionen aller Elemente des Endlagers am besten unterstützt, müssen systematisch alle Komponenten und ihre Wechselwirkungen bewertet werden.
Die BGE hat mehrere Forschungsprojekte in Auftrag gegeben, um noch offene Forschungsfragen zur Grenztemperatur zu klären. Denn im Standortauswahlgesetz (StandAG) ist für die Anwendungen der vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen (vSU) nach § 27 Abs. 4 Folgendes vorgegeben:
„Solange die maximalen physikalisch möglichen Temperaturen in den jeweiligen Wirtsgesteinen aufgrund ausstehender Forschungsarbeiten noch nicht festgelegt worden sind, wird aus Vorsorgegründen von einer Grenztemperatur von 100 Grad Celsius an der Außenfläche der Behälter ausgegangen.“
Die Temperatur von 100 Grad Celsius im StandAG ist in der Wissenschaft kritisch diskutiert worden. Je nach Wirtsgestein und Endlagerkonzept sind Temperaturen von maximal 100 °C nicht unbedingt vorteilhaft für die Sicherheit, hat eine bereits 2019 vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) beauftragte Studie ergeben. Darüber hinaus wurde bereits in der Endlagerkommission kritisch diskutiert, dass eine vorzeitige Festlegung einer Grenztemperatur Optimierungspotenziale einschränkt (K-Drs. 268, S. 507). Die Entsorgungskommission (ESK) kam ebenfalls zu dem Schluss, dass eine standortübergreifende und für alle Wirtsgesteine allgemein gültige Grenztemperatur wissenschaftlich und sicherheitstechnisch nicht begründbar ist. In ihrer Rolle als Vorhabenträgerin im Standortauswahlverfahren hat die BGE deshalb die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) beauftragt, eine «Ableitung der wirtsgesteinsspezifischen Temperaturverträglichkeit» bezogen auf die drei Wirtsgesteine Tongestein, Kristallingestein und Steinsalz zu untersuchen. Die BGE hat zudem weitere Forschungsarbeiten zu Tongesteinen sowie eine Studie zur Machbarkeit von höheren Grenztemperaturen mit Blick auf die Betriebssicherheit und Rückholbarkeit der Abfälle während der Betriebszeit (PDF, 2,4 MB) zu Rate gezogen.
Im Zuge der Festlegung der Grenztemperatur hat die BGE vielfach den Austausch mit der Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit gesucht, unter anderem wurde die Diskussion beim Grenztemperaturworkshop im März 2023 des BASE sowie den Beteiligungsformaten des Forums Endlagersuche berücksichtigt. Die Anregung die Rückholbarkeit mitzuberücksichtigen, war eine Anregung aus der öffentlichen Diskussion. Die BGE hat deshalb ein Gutachten zur Rückholbarkeit und Betriebssicherheit in Auftrag gegeben.
Die GRS hat einen systematischen Ansatz gewählt, um die günstigen Temperaturbereiche je Wirtsgestein zu identifizieren. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Aspekte: der Einfluss der Temperatur auf die Integrität des Wirtsgesteins sowie die Fähigkeit des jeweiligen Endlagersystems, Radionuklide zurückzuhalten.
Für Steinsalz hat die GRS einen Temperaturbereich zwischen 120 und 190 Grad Celsius als prinzipiell günstig identifiziert. Daraus hat die GRS den Vorschlag abgeleitet, 170 Grad für Steinsalz anzusetzen. Die BGE hat unter Berücksichtigung des Themas Betriebssicherheit und Rückholung diesen Wert auf 150 Grad angepasst. Bei 170 Grad wäre eine Rückholung zwar grundsätzlich möglich, aber ungünstiger als bei 150 Grad.
Für Tongestein hat die GRS in ihrer Abschätzung zwei Varianten vorgeschlagen: 120 und 100 Grad. Generell gilt dabei, dass der Temperaturunterschied zum umgebenden Gestein möglichst gering sein sollte. Die BGE bleibt angesichts der Zielkonflikte zwischen einer leicht höheren Sicherheit aufgrund geringerer mikrobieller Korrosion der Endlagerbehälter durch eine höhere Temperatur und der wesentlichen Sicherheitsfunktion der Integrität des Tongesteins, bei 100 °C für dieses Endlagerkonzept.
Für kristallines Wirtsgestein kommt die GRS bei ihrer Ableitung der günstigen Grenztemperatur auf 100 °C. Der Grund ist im Wesentlichen, dass in den kristallinen Lagerungskonzepten, ebenfalls ein Tongestein, nämlich Bentonit, als Sicherheitsbarriere um die Endlagerbehälter verwendet werden soll und damit auch im kristallinen Wirtsgestein Ton eine wesentliche Rolle spielt. Daher ist auch in diesem Fall eine Temperatur möglichst nah an der umgebenden Gebirgstemperatur erstrebenswert. Hier folgt die BGE dem Vorschlag der GRS, bei 100 Grad zu bleiben.
Die Vorsitzende der BGE-Geschäftsführung Iris Graffunder sagt über die Festlegung der Grenztemperaturen: „Die BGE braucht die Festlegung der Grenztemperatur, um aus den Teilgebieten bis Ende 2027 den Vorschlag zu den möglichen Standortregionen zu erarbeiten.“ Aus ihrer Sicht sind die Werte bezogen auf die Sicherheit „gut abgewogen“. Sie hebt besonders hervor, dass die BGE die Diskussionen und Anregungen aus den Beteiligungsformaten und der wissenschaftlichen Fachdiskussion der vergangenen zwei Jahre reflektiert hat und so die Interessen der Öffentlichkeit aktiv in die Arbeit einbezogen hat. „So stelle ich mir das lernende Verfahren vor.“
Über die BGE
Die BGE ist eine bundeseigene Gesellschaft im Geschäftsbereich des Bundesumweltministeriums. Die BGE hat am 25. April 2017 vom Bundesamt für Strahlenschutz die Verantwortung als Betreiberin für die Endlager Konrad und Morsleben sowie für der Schachtanlage Asse II übernommen. Zu den weiteren Aufgaben zählt, neben der Stilllegung des Bergwerks Gorleben, die Suche nach einem Endlagerstandort für die in Deutschland verursachten hochradioaktiven Abfälle auf der Grundlage des im Mai 2017 in Kraft getretenen Standortauswahlgesetzes. Vorsitzende der Geschäftsführung ist Iris Graffunder, Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin ist Marlis Koop, technischer Geschäftsführer ist Dr. Thomas Lautsch.